Blockchain hat im letzten und diesem Jahr für viele Schlagzeilen gesorgt. Aber wie genau beeinflusst die innovative Technologie unsere Versicherungswirtschaft? Nia Escobar, Startup Community Managerin des InsurTech Hub Köln, ging dieser Frage für den Blog der Digital Hub Initiative auf den Grund.
Im November letzten Jahres wurde Etherisc auf der EXEC Insurtech Konferenz in Köln vom InsurLab Deutschland in der Reihe A+ ausgezeichnet. Im Anschluss an die Preisverleihung sprach Nia Escobar mit Christoph Mussenbrock – Co-founder und Geschäftsführer des deutschen Startups Etherisc. Etherisc gilt als eines der prominentesten Insurtechs in Europa und ist eines der ersten Unternehmen, das komplett auf der Blockchain läuft. Im Gespräch beschreibt Christoph Mussenbrock die Möglichkeiten und Auswirkungen, die die Blockchaintechnologie auf die Versicherungswirtschaft haben.
Die Versicherungsbranche, die in den Händen von millionenschweren Corporates liegt und von sperrigen Institutionen reguliert wird, hat einen schweren Stand in der Öffentlichkeit. Von veraltetem Kundenservice bis hin zu Schränken voller Akten in Papierform hält die Digitalisierung nur sehr langsam Einzug in den verstaubten Firmengebäuden. Das soll sich nun ändern – seit der Erfindung von Blockchain durch Satoshi Nakamoto im Jahr 2008 wurden neue Möglichkeiten geebnet, um einen Mehrwert für Kunden, etablierte Unternehmen und Börsenmakler zu schaffen.
Blockchain ist eine dezentrale Technologie, die auf Peer-to-Peer-Basis basiert und im wesentlichen eine Prüfung für jeden Transaktions- oder Informationsaustausch bietet. Die Blockchaintechnologie hat aufgrund des “Kryptowährungswahnsinns“ einen recht schlechten Ruf. Bei der Verifizierung von Zahlungen, medizinischen Informationen, sicheren Protokollen und Datenspeicherung (u. a. von Identitäten) jedoch hat sich die Technologie als sehr wertvoll erwiesen.
Beginnen wir mit den Grundlagen. Was ist Etherisc?
Christoph Mussenbrock: Etherisc ist eine innovative, dezentrale Versicherungsplattform. Viele interessante Versicherungsneugründungen tun sich schwer, angesichts der hohen Marktregulationen in den Versicherungsraum einzutreten. Wir wollen dieses Problem gezielt lösen, indem wir diesen Raum dezentralisieren. Dies biet Barrien ab und ermöglicht einen leichteren und schnelleren Zugang zum Markt allgemein sowie zu Kapital, zu regulatorischen Rahmenbedingungen und zu etablierten Unternehmen.
Oft fallen Begriffe wie Transparenz und Sicherheit, wenn die Blockchaintechnologie beschrieben wird. Aber wie sicher ist die Technologie in der Praxis?
Die grundlegende Blockchaininfrastruktur und -technologie hat den weltweit höchsten Sicherheitsstandard, sofern sie richtig eingesetzt wird. Blockchain kann eine sehr sichere Methode sein, um Anwendungen für Kunden oder für interne Kommunikation, Protokolle oder Dokumente zu erstellen. Dies ermöglicht die Erstellung von Anwendungen, die von mehr als einer Person genutzt werden, da diese von allen Nutzern gleichermaßen überprüfbar ist und man wirklich jeden Vorgang und jede Revision zurückverfolgen kann.
Aber noch ist längst nicht alles perfekt. Was zählt Ihrer Meinung nach zu den größten Einschränkungen, denen Blockchain innerhalb der Branche noch entgegensteht?
Eine große Einschränkung ist definitiv die Akzeptanz der Blockchaintechnologie durch die Öffentlichkeit. Wir befinden uns gerade in einer ähnlichen Situation wie damals, als das Internet neu war und noch eine geringe Akzeptanz aufwies. Der Unterschied jetzt besteht darin, dass wir im Moment über diese extrem entwickelte Technologie sowie eine außergewöhnliche Geschäftsfelderentwicklung verfügen. Leider sind wir aufgrund der geringen Nutzerzahl mit vielen Einschränkungen konfrontiert.
Was sind Ihrer Meinung nach die größten Vorteile der Anwendungen der Blockchaintechnologie für Versicherungen?
Angesichts des Börsenwerts und dem Volumen der Branche denke ich, dass die Verwendung von Blockchain es ermöglichen wird, transparente Praktiken zu entwickeln. So gelingt ein einfacherer Zugang zu Versicherungsprodukten, der gleichzeitig auch fairer ist. Dieser erleichterte Zugang ist für Kunden, Dienstleister, Insurtech-Startups sowie für vermittelnde Akteure und Makler gleichermaßen bedeutend. Denn die Marktbarrieren werden so definitiv kleiner werden.
Können Sie uns ein Beispiel dafür geben, wie das genau funktioniert?
Mithilfe von Etherisc haben wir ein dezentrales Versicherungssystem für Flugverspätungen aufgebaut, das auf einer öffentlichen Blockchain läuft. So ist das Ausfüllen von Formularen eine Sache von Minuten und unsere Kunden erhalten im Falle einer Verspätung eine sofortige Entschädigung. Unsere Flight Delay Dapp ist die erste dezentralisierte Versicherungsanwendung die es ermöglicht, Formulare direkt in der App zu bearbeiten und sich Rückzahlungsansprüche völlig autonom rückerstatten zu lassen.
Blockchain-Anwendungen in Deutschland, insbesondere in der Versicherungswirtschaft, scheinen beliebter zu werden. Warum glauben Sie, dass das passiert?
Ich denke das liegt daran, dass die Menschen allgemein sensibler für Themen wie Transparenz und Fairness sind. Es gibt bereits viele Teams mit tollen Ideen für neue Versicherungsanwendungen, die Künstliche Intelligenz, Big Data und andere Technologien integrieren. Wegen der erwähnten hohen Marktbarrieren haben die Teams allerdings Mühe, ihre Ideen praktisch umzusetzen. Die aktuelle Notwendigkeit von Transparenz und Fairness eröffnet die Möglichkeit, neue Produkte für Kunden mit geringer Marktreife, kleinem Anfangskapital und weniger ausgereiften technischen Anforderungen innerhalb der regulatorischen Infrastruktur zu launchen.
Glauben Sie, dass alle traditionellen Versicherer Blockchain verwenden können? Unter welchen Bedingungen funktioniert es und wann nicht?
Wir sind der Meinung, dass die Frage von einem anderen Blickwinkel betrachtet werden muss. Die richtige Frage lautet: Welche Rolle werden Unternehmen zukünftig in der Blockchainwirtschaft spielen? Manche Versicherungsgesellschaften nutzen Blockchain bereits intern, um Kosten zu senken, effektiver zu kommunizieren und um ihre Systeme zu aktualisieren. Das größte Potenzial sehe ich allerdings bei den „Full Stack Insurtechs“, bei denen die gesamte Wertschöpfungskette mithilfe der Blockchainplattform entwickelt wird.
Könnten Sie die Zukunft in der Blockchain-Versicherung vorhersagen?
Ich würde sagen, dass wir in den nächsten fünf bis zehn Jahren eine so weit entwickelte Wirtschaft in der Blockchain sehen werden, die es den Nutzern ermöglicht, Versicherungsprodukte und vieles mehr zu kaufen. Im Moment ist die User Experience zu langwierig und aufwändig. Das wird eine aufregende Veränderung mit enormen Auswirkungen sein.
Wie sieht es mit den Kryptowährungen in der Versicherungsbranche aus?
Die virtuellen Währungen haben auch mit Schwierigkeiten zu kämpfen. Kryptowährungen sind für ihre hohe Volatilität bekannt, was ihre Anwendung erschwert, da Versicherungsunternehmen eine stabile Geldbasis benötigen. Es gibt sehr interessante Projekte, die versuchen, diese Probleme etwa mit stable coins anzugehen. Wir können schon absehen, dass diese eine wichtige Rolle in der Versicherungswirtschaft spielen werden.
Es scheint, die Menschen lieben, fürchten oder hassen Blockchain. Welche Perspektive nehmen Sie ein?
Ich denke, die meisten etablierten Unternehmen und Unternehmen sehen die potenziellen Vorteile, aber sie müssen ihre Rolle in diesem Bereich noch finden und verstehen. Ich würde die Leute dazu ermutigen, zu experimentieren und informiert zu bleiben. Jeder, der Blockchain mit einer gewissen Ernsthaftigkeit angeht, erkennt das Potenzial und weiß, dass Angst zu haben keine Lösung ist.
Wenn Sie eine Nachricht an die etablierten Unternehmen senden könnten, was wäre das?
Einsteigen, offen sein, experimentieren und präsent sein.
Und an die Kunden?
Ich würde den Kunden empfehlen, sich spielerisch mit den Konzepten und Plattformen der Blockchaintechnologie und Kryptowährungen vertraut zu machen – z. B. einfach mal 50 Euro zu investieren, um es auszuprobieren. Und anschließend beobachten, wie die Investition sich entwickelt.