Die Welt hat sich schon immer geändert. Damit einhergehend ist auch die Art und Weise, wie wir Menschen arbeiten und über Arbeit denken, einem stetigen Wandel ausgesetzt. Was ist also neu an New Work? Und warum wollen wir Arbeit immer noch weiter verbessern, wenn wir doch im Vergleich zu den allermeisten Menschen in der Menschheitsgeschichte bereits richtig gute Arbeitsbedingungen haben? Optimieren wir also in der Wohlfühlzone?
Eine Antwort: Es lohnt sich sowohl für Arbeitnehmende als auch für Unternehmen „gute Arbeit“ als Ziel zu setzen. Arbeit nimmt mit ca. 1750 Stunden pro Jahr bei einem Vollbeschäftigten einen erheblichen Teil unserer wachen Zeit ein. Häufig kommen Pendelzeiten, Überstunden und der Austausch über Arbeit in der Freizeit hinzu. Für Arbeitnehmende steht das eigene Wohlbefinden und die Zufriedenheit auf dem Spiel, für Arbeitgebende das Commitment zufriedener Mitarbeitender. Wird Arbeit als Belastung empfunden, schadet dies letztlich Mitarbeitenden und Arbeitgebenden zugleich.
New Work in den 2020er Jahren ist folglich tatsächlich etwas Neues. Die Entwicklung wirkt radikal, indem sie alte Systeme sprengt und zu neuen zusammenfügt. New Work erfolgt selbstgesteuert und räumt mit den klassischen BWL-Träumen auf, dass man Kultur auftauen und wieder einfrieren kann. Ganz im Sinne einer der bekanntesten Vordenker von New Work, Frithjof Bergmann, geht es um ein ganz neues Arbeitsverständnis: Menschen befreien sich sukzessive aus ihren eigenen Grenzen und gewinnen mehr Zeit für persönliches Wachstum durch Teilhabe an der Gemeinschaft. Plakativ weitergeformt hat diesen Gedanken unter anderem Frédéric Laloux, der mit seinem viel beachteten Werk „Reinventing Organizations“ bereits Anfang der 2010er Jahre auf Basis von Fallstudien prognostizierte, dass sich unser Verständnis von Arbeit stark verändert und sich die Menschheit auf die nächste evolutionäre Bewusstseinsstufe zubewegt. Neu deshalb, weil der evolutionäre Weg den Menschen in seiner Ganzheit wahrnimmt, seine Stärken und Eigenheiten im beruflichen Kontext nutzt und ihn nicht mehr nur als Teil einer Maschinerie wahrnimmt.
Obstkörbe aufstellen oder Turnschuhe anziehen greift deshalb deutlich zu kurz, wenn es darum geht, die Zufriedenheit und Bindung der Mitarbeitenden zu steigern. Ohnehin konnten solche Maßnahmen nie die wirklichen Bedürfnisse und Probleme der Arbeitswelt adressieren. Der wesentliche Grund für eine umfassende Beschäftigung mit New Work ist allerdings die Veränderungsdynamik, welche mittlerweile durch Megatrends ausgelöst wird. Ein paar Schlagwörter genügen als Erklärung: Digitalisierung, demografischer Wandel, Ökologie, Wissenszuwachs, Geschlechtergerechtigkeit, Diversity und natürlich auch Globalisierung. Wir müssen also an die Wurzel der Probleme und Bedürfnisse gehen. Dort sehen wir den Bedarf von Unternehmen, schnellere und bessere Antworten auf die Herausforderungen einer höheren Wettbewerbsdynamik in der sogenannten VUCA-Welt zu finden. Mitarbeitende streben verstärkt nach Möglichkeiten zur Mitgestaltung durch Entfaltung eigener Potentiale. Es geht mittlerweile also nicht mehr nur um Work-Life Balance, sondern um vier Facetten, die psychologisches Empowerment ausmachen. Diese sind Einfluss, Selbstbestimmung, Bedeutsamkeit und das Erleben von Kompetenz.
Das Streben nach Möglichkeiten zur Mitgestaltung und Entfaltung steht mit dem „Bedürfnis nach Selbstverwirklichung“ ganz oben in der Bedürfnispyramide 1 und spiegelt das Wachstumsmotiv des Menschen wider. Welche Arbeitsbedingungen hierbei für Beschäftigte besonders relevant sind, zeigt z.B. die Corporate Health Plattform DearEmployee auf: In dem Datensatz von rund 26.000 Beschäftigten aus über 200 Unternehmen werden die 46 wichtigsten Arbeitsbedingungen für das Wohlbefinden der Beschäftigten evaluiert. Die Arbeitsbedingungen, die hierbei einen hohen Zusammenhang (i.e. Korrelation) zur Motivation der Beschäftigten aufweisen, sind: Bedeutsamkeit (einen persönlichen Sinn in der Tätigkeit sehen), Vielseitigkeit der Tätigkeit (abwechslungsreich arbeiten) und Talent (eigene Stärken einbringen).2 Diese drei Arbeitsbedingungen spiegeln die Werte wider, welche in New Work und dem Wachstumsmotiv verwurzelt sind.
New Work kann sich also an der Schnittstelle der Unternehmensbedarfe und der Mitarbeitendenbedürfnisse entwickeln. Eine ideale Vorlage für das Schmieden von Win-Win-Konstellationen, weshalb manche Betriebsräte und Gewerkschafter:innen bereits intensiv nach neuen Rollenbildern in einer Post-Arbeitskampfepoche suchen.
Doch blicken wir noch einmal genauer hin: Gibt es eine einheitliche Definition für New Work? Leider nicht. Somit werden wir den Begriff auch zukünftig interpretieren und vermitteln müssen. Dabei bewegen wir uns auch weiterhin im Spannungsfeld zwischen Utopie und Ökonomie. Laut Frithjof Bergmann ist New Work die Bezeichnung für ein neues Verständnis von Arbeit in Zeiten von Globalisierung und Digitalisierung. Die zentralen Werte von New Work sind Freiheit, Selbständigkeit und Teilhabe an der Gemeinschaft. Die Organisationsberatung humanfy baut darauf auf und nimmt fünf Prinzipien in eine New Work Chart auf. Diese sind Freiheit, Selbstverantwortung, Sinn, Entwicklung, Soziale Verantwortung. Die Resonanz ist groß: Ein guter Teil neu gegründeter Organisationen sehen sich mittlerweile als Purpose Driven Organizations und nähern sich damit den Zielen der New Work Charta an. Größere Bestandorganisationen hingegen arbeiten zumeist mit weitaus pragmatischeren Ansätzen. New Work ist für sie letztlich Arbeit in der digital transformierten Welt, welche die Bedürfnisse der Mitarbeitenden mit den Bedarfen dynamikrobuster Unternehmen vereint. Zentrale Aspekte sind für sie ortsungebundenes Arbeiten und die Einbindung modernster Technologien in den Arbeitsalltag. Darüber hinaus stehen moderne Antworten auf die zunehmende Komplexität in Unternehmen und im Privatleben der Mitarbeitenden sowie die Befriedigung der Ansprüche einer zunehmend verknappten Anzahl gut ausgebildeter Arbeitskräfte im Fokus.
Schauen wir auf die gegenwärtige Lage: Covid-19 war der Brandbeschleuniger in einer ohnehin stattfindenden Modernisierungsentwicklung. Viele Unternehmen wurden fünf oder mehr Jahre in die Zukunft katapultiert. Das ist objektiv betrachtet eine sehr positive Entwicklung und doch haben sie damit wesentliche Stufen einer gesunden bzw. nachhaltigen Evolution übersprungen. Nie zuvor hat sich die Notwendigkeit der Veränderung schneller und umfassender über Beharrungskräfte hinweggesetzt. Was jetzt unbedingt nachfolgen muss, ist die Erkenntnis und auch Überzeugung, dass New Work Maßnahmen nicht allein dem Notfall geschuldet waren, sondern auch ohne die Bedrohung durch einen Virus die Unternehmenswelt bereichern. Zudem gilt es den Blick zu weiten und eine neue Balance zu finden, in welcher auch Antworten auf die negativen Begleiterscheinungen unserer aktuellen Covid-19-bedingten Interpretation von New Work gefunden werden.
Digitale Mitarbeitende sind das eine. Selbstverwirklichung und die Maximierung der Motivation lassen sich jedoch nicht erreichen, wenn nicht im Vorfeld auch die Belastungen, also die täglichen Stressoren bei der Arbeit, identifiziert und gelöst wurden. Und auch das ist nicht allein im Sinne der Mitarbeitenden. Für zahlreiche Unternehmen gilt der wachsende Anteil an psychisch belasteten Beschäftigten bereits heute als zentrale Herausforderung. Die Arbeitsunfähigkeitstage und -fälle aufgrund psychischer Erkrankungen weisen ein deutliches Wachstum3 auf. Unternehmen müssen daher sowohl Motivation als auch Mitarbeitenden-Gesundheit im Blick behalten, um optimale Arbeitsbedingungen für ihre Beschäftigten zu schaffen und New Work zeitgemäß – also zum Vorteil von Mitarbeitenden und Unternehmen – zu leben.
Quellen:
1 https://dorsch.hogrefe.com/stichwort/beduerfnishierarchie
2 DearEmployee (Juli 2021) mit 207 befragten Unternehmen an über 26.000 Mitarbeitern.
3 Arbeitsunfähigkeitstage und -fälle aufgrund psychischer Erkrankungen (Deutschland, 1997 – 2019), Quelle: DAK Gesundheitsreport 2020
Bei diesem Artikel handelt es sich um einen Auszug aus dem Whitepaper “New Work: Schlüssel zur Zukunftsfähigkeit”, das im Rahmen des Themas „Digitale Transformation >New Work<“ von unserer gleichnamigen Topic Group aufgesetzt wurde. Jetzt downloaden!
Dr. Philipp Johannes Nolte
leitet den Bereich Change Management bei der Roland Rechtsschutz-Versicherungs-AG. In dieser Funktion ist er für die Gestaltung des „New Normal“ und mit dem Transformationsteam MOVE für den Kulturwandel im Unternehmen zuständig. Der ehemalige Produkt- und Innovationsmanager war vor seinem Wechsel zu Roland unter anderem als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf tätig. Außerdem ist der New Work Experte geprüfter Systemischer Coach, Resilienztrainer, Scrum Master und Product Owner sowie zertifizierter Online-Trainer, Innovationsmoderator und Facilitator.
Felicia Arndt
hat an der Humboldt-Universität zu Berlin studiert und ist Psychologin (MSc.). Als Business Development Managerin bei der Corporate Health Platform DearEmployee treibt sie die Weiterentwicklung des Health Start-Ups voran und gestaltet Kooperationen mit innovativen Gesundheitspartnern im Versicherungsbereich. Ihre Motivation: Eine Arbeitswelt zu schaffen, welche die Gesundheit, Motivation und Bindung von Beschäftigten stärkt und die Mitarbeiterperformance unterstützt. #makingworkabetterplace
Nadine Ibel
berät im Provinzial Konzern zu den Themen Innovation und Transformation. In dieser Funktion macht sie „new ways of work“ gemeinsam mit internen Communities als Triebfeder für eine wertschätzende Innovations- und Unternehmenskultur erlebbar. Aus ihren vorherigen Stationen in der Sparkassen Finanzgruppe und der FUNKE Mediengruppe kann sie auf Erfahrungen im Umgang mit disruptiven Geschäftsmodellveränderungen zurückgreifen. Die theoretische Basis der New Work Expertin bilden Zertifizierungen als Scrum Master und Innovationsmoderatorin sowie ein spezialisierter Master of Science in Digital Innovation & Business Transformation.